Alois Alzheimer

Neurologe, Psychiater, Hirnpathologe

* 14. Juni 1864 in Marktbreit (Unterfranken)
† 1915 in Breslau

Es beginnt kaum spürbar: Leichte Vergeßlichkeit, nachlassende Urteilsfähigkeit, Orientierungsprobleme, Sprachschwierigkeiten, öftere Geistesabwesenheit lassen ahnen, dass etwas mit dem Betroffenen nicht stimmt. Das ist das erste Stadium der Krankheit, der Anfang, an dem das Gehirn beginnt, zu Grunde zu gehen. Und auch der Betroffene spürt es, wird unruhig, ahnt, was auf ihn zukommt, hat Angst und wird vielleicht auch aggressiv. Im zweiten Stadium folgt der Abschied vom Ich. Der Betroffene erkennt seine Umgebung und mitunter selbst seinen Partner nicht mehr, findet sich nicht zurecht, kann sich nicht sauber halten und nicht allein essen. Der geistige und körperliche Verfall ist jetzt für alle sichtbar. Danach beginnt das dritte Stadium. Dieses kann Jahre dauern, fünf, sechs, sieben Jahre. In dieser Zeit hat der Betroffene die Intelligenz eines Neugeborenen erreicht und erst der Tod setzt der Entmündigung und Entwürdigung einer einstmaligen Persönlichkeit ein Ende.


Alois Alzheimer

Alois Alzheimer

 
 

Diesen Prozeß einer ständig fortschreitenden Gehirnleistungsschwäche beziehungsweise geistiger Zerrüttung nennt man Alzheimer(sche)-Krankheit = Morbus-Alzheimer, Demenz vom Alzheimer-Typ oder salopp einfach Alzheimer. Die Krankheit ist mit diagnostischen Methoden nur schwer erkennbar (Tests zur Erfassung kognitiver Defizite und computertomographische Gehirnaktivitätsaufnahmen können bei der Feststellung hilfreich sein) und zur Zeit sowie wohl auch in näherer Zukunft in ihrem Verlauf nicht beeinflußbar oder gar heilbar. Allenfalls sind die Symptome durch medikamentöse Gaben von Vitamin E, Gingko-Extrakt oder durch Medikamente wie Tacrin (Cognex ® ), Donepezil (Aricept ® ) oder Rivastigmin (Exelon ® ), durch geistige Beanspruchungen und durch eine "rund um die Uhr-Betreuung" in gewissen Grenzen hinausschiebbar, so daß viele Patienten den Beginn der Erkarnakung immerhin um 10 bis vielleicht auch 15 Jahre "überleben".

Der bekannte Psychiater Emil Kraemplin (1856-1926) hat die Alzheimer-Krankheit nach dem Namen seines relativ früh verstorbenen Schülers Alois Alzheimer getauft. Über Alzheimers Leben ist heute so gut wie nichts bekannt. Er soll ein sinnlicher, humorvoller, toleranter Mann gewesen sein, und sein Bestreben als Arzt war zu helfen. Mitunter stuft man ihn ein in die Gruppe der konservativen Verfechter der sogenannten Rassenhygiene, die später in Deutschland zur Staatsdoktrin erhoben wurde. Doch das widerspricht eigentlich seiner Vita (Lebenslauf), denn er war mit einer wohlhabenden Jüdin verheiratet, die früh starb. Seine drei Kinder überlebten später nur, weil sie keine sogenannten Volljuden waren. Mit dem Vermögen, das seine Frau ihm hinterließ, war es Alzheimer möglich, seine für die damalige Zeit überaus gewissenhaften und tiefgreifenden Forschungen zu finanzieren, die mit der Berufung an den Lehrstuhl für Psychiatrie in Breslau honoriert wurden. Alzheimer starb 51-jährig an einer Infektion, die man ein Vierteljahrhundert später mit Penicillin hätte behandeln können.

Alzheimer hatte in der Städtischen Irrenanstalt Frankfurt/Main eine 51-jährige Patientin namens Auguste Deter behandelt, die hier am 25. November 1901 eingeliefert wurde, und der nur wenig mehr als die Erinnerung an ihren Vornamen geblieben war. "Wie heißen Sie?", fragte er. "Auguste" stammelte sie nach längerem Zögern. "Familienname?" "Auguste." "Wie heißt Ihr Mann?" "Ich glaube Auguste." Wort für Wort hielt Alzheimer in der folgenden mehrtägigen Befragung seiner verwirrten Patientin fest. Sorgfältig prüfte er die intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten der Kranken, ihre Reflexe, die Organfunktionen. Eine Diagnose stellte er nicht - konnte er auch nicht, er war wie seine Kollegen, die er hinzuzog, ratlos. Fünf Jahre später starb die Kranke, und Alzheimer notierte gewissenhaft: "Allgemein verblödet" und "völlig stumpf". Danach sezierte er ihr Gehirn und entdeckte einen "eigenartigen Krankheitsprozeß": Beträchtliche Teile der Hirnrinde, die Gedächtnis, Orientierung und das Gefühlsleben ermöglichen, waren stark verändert. Dagegen fand er Eiweißablagerungen (Jahrzehnte später diagnostizierte man diese als ein "anomales" Protein, das Amyloid), verfilzte Faserbündel, tote Nervenzellen - nur einige Fortsätze der Nervenzellen hatten den Verfall überdauert. Die Besonderheit aber lag darin, daß es sich um eine Demenz handelte, bei der keine Arteriosklerose im Gehirn vorlag. 1906 veröffentlichte Alzheimer seine vorbildlich zu nennende Fallstudie "Eine eigenartige Krankheit der Hirnrinde". Sie wurde archiviert und - vergessen. Kaum ein Fachkollege mochte sich mit dem tristen Leiden näher befassen, das zudem nur wenig Reputation versprach. Und auch ein dreiviertel Jahrhundert später galt die Krankheit als eine exotische, selten auftretende Altersdemenz (Altersschwachsinn), die in den Lehrbüchern mit ein paar Zeilen abgetan wurde, obschon allein in Deutschland zu dieser Zeit Hunderttausende von ihr betroffen waren.

Die Alzheimer-Krankheit wird nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eines der größten medizinischen Probleme der Zukunft werden. Gegenwärtig sind in Deutschland schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen von ihr betroffen, wobei die Dunkelziffer sehr hoch ist. Da die Lebenserwartung weiter steigt, kommen jährlich etwa 70.000 hinzu. Von dem großen Leiden der Erkrankten und der sie pflegenden Angehörigen nimmt auch heute die Öffentlichkeit nur wenig Notiz, denn es findet überwiegend im privaten Kreis oder hinter den Maueren alterspsychiatrischer Klinikabteilungen statt. Nicht zuletzt hat jedoch das Bekanntwerden von immer mehr prominenten Alzheimer-Erkrankten die Forscher zum Kampf aufgerufen. So werden jetzt auch in Deutschland hierfür vermehrt Mittel zur Verfügung gestellt, und im Dezember 1996 wurde in Frankfurt/Main das erste Zentrum zur Erforschung der Alzheimer-Krankheit gegründet. In mehreren Forschungsprojekten wollen Kliniken und das Max-Planck-Institut für Hirnforschung Ansatzpunkte zur Früherkennung und für mögliche Therapien finden. Einen Vorkämpfer hierfür gab es schon: Alzheimer. Als er 1911 in Anlehnung an den Rassenhygieniker Max von Gruber (1853-1927) eine Zentralstelle für die systematische Untersuchung der "Anlage des Gesamtvolkes" forderte, wurde dieser Anregung (schon) 1927 mit der Gründung des "Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik" in Berlin-Dahlem entsprochen.

 
  überarbeitet von Dr. Werner Wolf  08.12.2000 © A Med-World AG