Häufigere Epilepsie-Syndrome

Kurzinformationen für Betroffene und Interessierte

Inhalt

Gutartige fokale Epilepsie des Kindesalters mit zentrotemporalen Spitzen (Rolando-Epilepsie)
Fokale Epilepsien mit einfach fokalen, komplex fokalen und sekundär generalisierten Anfällen
Schläfenlappenepilepsie (Temporallappenepilepsie)
Absenceepilepsien
Juvenile Myoklonus-Epilepsie
Grand-Mal-Epilepsien, insbesondere Aufwach-Grand-Mal-Epilepsie
BNS-Krämpfe ( West-Syndrom)
Lennox-Gastaut-Syndrom
Myoklonisch-astatische Epilepsie


Gutartige (benigne) fokale Epilepsie des Kindesalters mit zentrotemporalen Spitzen (Rolando-Epilepsie)

Es handelt sich um die häufigste idiopathische (auf erblicher Basis) fokale (örtliche) Epilepsie, sie macht etwa 5 - 10% aller Epilepsien des Kindesalters aus. Eine Kurzübersicht über die Kennzeichen dieser gutartigen Epilepsie  gibt die Tabelle 1. Sie tritt meistens bei sonst gesunden Kindern im Alter von 3-13 Jahren auf, am häufigsten zwischen 5 und 10 Jahren. Manche dieser Kinder zeigen leichte Verhaltensauffälligkeiten oder Wahrnehmungsstörungen, solange die Epilepsie besteht. In etwa 10% der Fälle sind Fieberkrämpfe vorausgegangen. In den Familien der Patienten sind schon vorher in 20 - 30% der Fälle Epilepsien aufgetreten.

Tabelle 1. Gutartige (benigne) fokale Epilepsie des Kindesalters mit zentrotemporalen Spitzen (Rolando-Epilepsie)

Die epileptische Aktivität spielt sich vor allem in sensiblen und motorischen Feldern der Hirnrinde ab, wobei die motorische Sprachregion mit einbezogen wird. Die daraus resultierenden fokalen Anfälle treten meist aus dem Schlaf heraus auf. Die Anfälle beginnen mit Missempfindungen im Mund, in der Zunge und einer Gesichtshälfte. Dann kommt es zu einer Muskelverspannung der Kaumuskulatur und des Gesichtes, was sich verzieht. Das Kind kann nicht sprechen, es gibt gurgelnde Laute von sich, es kommt zu vermehrtem Speichelfluss. Das Bewusstsein bleibt erhalten. Der Anfall kann sich auf derselben Körperseite weiter ausbreiten. Häufiger als diese fokalen Anfälle treten sekundär generalisierte (den ganzen Körper einbeziehende) tonisch-klonische Anfälle auf (nähere Beschreibung unter Grand mal-Epilepsie).

Im EEG dieser Kinder findet man herdförmige epileptische Aktivität in Form von Sharp Waves, am häufigsten zentrotemporal oder in der Nachbarschaft dazu. Diese Herde können auch über beiden Hirnhälften sichtbar sein oder die Seite wechseln. Sie sind vor allem während des Schlafens sichtbar.

Die Diagnose der gutartigen fokalen Epilepsie gründet sich dann auf folgende Eigenschaften: normal entwickelte Kinder, typisches Alter des Auftretens, charakteristischer Anfallstyp und kennzeichnender EEG-Befund.

Diese Epilepsie ist gutartig (benigne). Die meisten Kinder haben überhaupt nur einen Anfall oder nur wenige Anfälle, die vereinzelt über Monate oder Jahre auftreten. Spätestens in der Pubertät werden die Kinder erscheinungsfrei und dann verschwinden auch die EEG-Veränderungen. Eine Behandlung mit Medikamenten ist nur bei gehäuftem Auftreten der Anfälle notwendig. Diese Epilepsieform spricht fast immer gut auf die Behandlung mit Sultiam (Ospolot) an, was auch sehr gut verträglich ist. Nach 1 Jahr Anfallsfreiheit kann versucht werden, das Medikament wieder abzusetzen.

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Symptomatische oder kryptogene fokale Epilepsien mit einfachen fokalen, komplexen fokalen und sekundär generalisierten Anfällen

Es gibt drei Grundtypen von fokalen Anfällen: die einfachen fokalen, die komplexen fokalen und die sekundär generalisierten Anfälle. Im Folgenden werden zunächst diese Anfallsformen näher beschrieben, dann die Epilepsien, bei denen sie auftreten können.

Man unterscheidet einfache fokale Anfälle, bei denen das Bewusstsein erhalten bleibt, von komplexen fokalen Anfällen, bei denen das Bewusstsein gestört ist. Eine Bewusstseinsstörung liegt vor, wenn die Reaktion des Patienten auf Außenreize beeinträchtigt ist, oder wenn der Betroffene keine Erinnerungen an die Ereignisse während des Anfalles hat. Die Reaktion auf Außenreize kann man dadurch prüfen, dass man den Patienten während des Anfalles zu Bewegungen auffordert, z.B. „Heben Sie bitte den rechten Arm". Der Nachweis einer Erinnerungsstörung gelingt dadurch, dass man den Patienten während des Anfalls bittet, sich ein Wort zu merken, welches man nach dem Anfall abfragt.

Einfache fokale Anfälle

Mit der Bezeichnung einfach fokal wird ein Anfall beschrieben, der von einem eng umschriebenen Hirngebiet ausgeht. Der Betroffene ist bei Bewusstsein und erlebt den Anfall in seiner ganzen Ausprägung mit. Falls nicht eine Störung der Erinnerung ihn daran hindert, kann er hinterher beschreiben, was er erlebt hat.

Bei den einfachen fokalen Anfällen kann es zu örtlich umschriebenen Muskelzuckungen kommen, zum Beispiel in einer Gesichtshälfte oder in einer Hand. Diese Muskelzuckungen können sich in benachbarte Gebiete der gleichen Körperseite ausbreiten. In diesem Fall spricht man von einem "motorischen Jackson-Anfall".

Weiterhin gibt es einfache fokale Anfälle mit vielfältigen Sinneswahrnehmungen. Manche Patienten sehen Licht-, Farberscheinungen oder Bilder, oder die Gegenstände ihrer Umgebung werden als zu groß oder zu klein gesehen. Wiederum andere Patienten hören Musik, Stimmen oder Geräusche. Oft wird von Patienten auch über angenehme oder unangenehme Geruchsempfindungen oder Geschmacksempfindungen berichtet. Schließlich gibt es noch Patienten, denen im Anfall schwindlig wird, und zwar kann dieser Schwindel wie ein Fallen im Raum, wie ein Schwanken oder wie ein Drehen in einem Karussell oder in einem Riesenrad empfunden werden.

Einfache fokale Anfälle können mit sehr intensiven Erlebnissen einher gehen, die teils eingebildet sind, teils an früher Erlebtes anknüpfen. Diese Erlebnisse können zum Beispiel mit dem Gefühl des anheimelnd Vertrauten verbunden sein. Man spricht dann vom sogenannten "Déjà-vu"-Erlebnis („déjà-vu" bedeutet schon gesehen). Der Betroffene hat bei diesen Erlebnissen den Eindruck, dieses früher schon einmal genauso erlebt, gesehen oder gehört zu haben, obwohl dieses in Wirklichkeit nicht zutrifft.

Viele der vom Patienten wahrgenommenen Empfindungen lassen sich nicht in Worte fassen und werden von ihnen als "komisches Gefühl" bezeichnet. Oft handelt es sich um Empfindungen, die im Oberbauch auftreten, von dort nach oben steigen und angstgetönt sein können. Andere Patienten geben Herzklopfen, Druckgefühl auf der Brust an, oft wird auch von Angst und innerer Unruhe berichtet (vegetative Aura).

Alle diese Sinneswahrnehmungen, die der Patient selbst bemerkt und auch beschreiben kann, kennzeichnen die sog. Aura (Aura bedeutet Hauch). Damit ist gemeint, dass die Aura oft Anfälle mit Bewusstseinsverlust einleitet, wobei die Aura in komplexe fokale Anfälle oder auch sekundär generalisierte Anfälle übergehen kann.

Komplexe fokale Anfälle

Neben dem Begriff komplexer fokaler Anfall gibt es noch weitere ältere Bezeichnungen für diese Anfallsform, die zum Teil auf das Erscheinungsbild oder den häufigsten Ursprungsort der Anfälle hinweisen (Partialanfälle, psychomotorische Anfälle, psychomotorische Dämmerattacken, Schläfenlappenanfälle, Temporallappenanfälle). Diese Bezeichnungen sollten aber in Zukunft vermieden werden, da sie zu ungenau sind.

Bei den komplexen fokalen Anfällen ist das Bewusstsein des Patienten verändert, wobei die Bewusstseinsstörung von einer leichten Benommenheit bis zur Bewusstlosigkeit reichen kann. Manche Personen wirken während des Anfalls auffallend benommen, ratlos, umdämmert, verwirrt. Gegen eine Störung von außen wehren sie sich und sie können dann sogar aggressiv werden.

Die körperlichen Erscheinungsformen des komplexen fokalen Anfalls sind vielgestaltig. Alle bei den einfachen fokalen Anfällen genannten Zeichen können auch bei den komplexen fokalen in Verbindung mit der Bewusstseinsstörung auftreten. Besonders charakteristisch sind sogenannte Automatismen, d.h. automatisch ablaufende Bewegungsmuster. Im Bereich des Mundes zeigen sich Kau- oder Essautomatismen in Form von Schmecken, Schmatzen, Schlucken, Kauen. Einige äußerlich sichtbare Anfallszeichen lassen gewisse Rückschlüsse auf das Erleben im Anfall zu. So kann der Gesichtsausdruck des Patienten das Erleben von Angst, Furcht, Schmerz, aber auch von Glücksgefühl verraten (mimische Automatismen). Häufig aber ist die Mimik während eines komplexen fokalen Anfalles auffallend starr und leer. Viele Anfälle sind gekennzeichnet durch Handlungsautomatismen wie zum Beispiel Nesteln, Zupfen, Kratzen, Streicheln über ein Kleidungsstück, mechanisches Öffnen und Schließen der Hände, Strampeln, Scharren, tänzelnde Bewegungen. Einige Patienten sprechen auch unverständlich (verbale Automatismen). Manche Patienten werden im Anfall umtriebig. Sie legen sich hin, stehen wieder auf, gehen umher (ambulatorische Automatismen). Bei länger dauernden komplexen fokalen Anfällen kommt es auch zu geordneten und komplizierten Handlungsabläufen: Die Patienten ziehen sich aus, steigen auf einen Stuhl oder gehen an ein Fenster, um es zu öffnen.

An den komplexen fokalen Anfällen ist oft das vegetative Nervensystem beteiligt, erkennbar an Hautrötung bzw. Hautblässe, Auftreten einer Gänsehaut, Schweißausbruch und vor allem an einer vermehrten Speichelbildung.

Komplexe fokale Anfälle verebben allmählich, ihr Ende ist oft nicht genau feststellbar. An den Anfall kann sich der Patient hinterher nicht erinnern. Ein solcher Anfall dauert im allgemeinen einigen Minuten bis zu einer Viertelstunde.

Nicht selten wird ein komplex fokaler Anfall von einem einfach fokalen Anfall eingeleitet. Ein komplex fokaler Anfall kann sekundär in einen generalisierten tonisch-klonischen Krampfanfall (Grand-Mal-Anfall) übergehen.

Symptomatische oder kryptogene Epilepsien mit einfachen fokalen, komplexen fokalen und sekundär generalisierten Anfällen

Bei diesen Epilepsien handelt es sich um die größte Gruppe unter den Epilepsien, denn sie machen etwa 30 - 40% aller Epilepsien aus. Diese Epilepsien werden in der Internationalen Klassifikation der „Liga gegen Epilepsie" unter den symptomatischen Epilepsien aufgeführt, da ihnen sehr häufig eine nachweisbare Hirnschädigung zugrunde liegt. Falls diese nicht nachweisbar ist, so wird sie doch vermutet und in diesem Fall spricht man von kryptogenen fokalen Epilepsien.

Jede örtlich umschriebene Schädigung des Gehirns kann zu fokalen epileptischen Anfällen führen. Häufige Ursachen sind angeborene Fehlbildungen der Hirnrinde, durch Unfälle, Entzündungen, Tumore und Gefäßprozesse hervorgerufene örtliche Schäden sowie eine örtliche Narbenbildung (Gliosen). Bei Erwachsenen findet man häufig Narben in den Schläfenlappen (Hippocampussklerose), diese werden vor allem auf lang anhaltende Fieberkrämpfe in den ersten Lebensjahren zurückgeführt. Erbliche Einflüsse spielen bei den sog. symptomatischen und kryptogenen Epilepsien eine untergeordnete Rolle. Je nach dem Ursprungsort der Epilepsie spricht man von Stirnhirnlappenepilepsie (Frontallappenepilepsie), Schläfenlappenepilepsie (Temporallappenepilepsie), Scheitellappenepilepsie (Parietallappenepilepsie) und Hinterhauptlappenepilepsie (Okzipitallappenepilepsie). Die Erscheinungsformen dieser Epilepsien hängen vom Ort der Schädigung ab, sie sind deshalb vielgestaltig. Im folgenden werden die Eigenschaften der häufigsten symptomatischen fokalen Epilepsie, der Temporallappenepilepsie beschrieben.

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Schläfenlappenepilepsie (Temporallappenepilepsie)

Die häufigste Form der symptomatischen oder kryptogenen fokalen Epilepsien ist die Schläfenlappenepilepsie (Temporallappenepilepsie), diese ist vor allem durch komplexe fokale Anfälle charakterisiert. Diesen Anfällen können einfache fokale Anfälle vorangehen, die dann Aura (Hauch) genannt werden. Die komplexen fokalen Anfälle können in sekundär generalisierte tonisch-klonische Anfälle (GM-Anfälle) übergehen. Eine Kurzübersicht über die Kennzeichen der Schläfenlappenepilepsie gibt die Tabelle 2.

Tabelle 2. Schläfenlappenepilepsie (Temporallappenepilepsie)

Die Schläfenlappenepilepsie kann in jedem Lebensalter auftreten, sie beginnt aber besonders häufig im Alter zwischen 5 und 10 Jahren. Tritt eine Schläfenlappenepilepsie neu auf, so muss nach der zugrunde liegenden Ursache geforscht werden. Schädigungen der Hirnstruktur durch die oben genannten Ursachen werden heute am besten mit der sog. Kernspintomographie nachgewiesen, eine Computertomographie ist nicht ausreichend. Das EEG zeigt häufig im Bereich der Schläfenlappen Auffälligkeiten, entweder in Form einer örtlichen Verlangsamung oder in Form von epilepsietypischen Veränderungen.

Die Behandlung der Schläfenlappenepilepsie ist sehr schwierig, da nur 20 - 30% der Patienten langfristig ganz anfallsfrei werden. Ein großer Teil dieser Patienten ist therapieresistent. Die wichtigsten Medikamente sind: Carbamazepin, Valproat, Phenytoin und neue Antiepileptika (Trileptal, Lamictal, Neurontin, Topamax). Etwa die Hälfte der Kinder und Jugendlichen haben neben den epileptischen Anfällen noch weitere psychische und soziale Probleme: Lern- und Verhaltensstörungen sowie besondere Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Sind bei einem Patienten über längere Zeit (mindestens 2 Jahre) mehrere Medikamente einzeln oder in Kombination ohne Erfolg angewendet worden und ist eine ganz umschriebene Hirnschädigung in einem Schläfenlappen die Ursache der Epilepsie, so sollte man prüfen, ob nicht eine Gehirnoperation möglich ist, bei der das Gewebe, von dem die epileptischen Anfälle ausgehen, entfernt wird. Bis zu 80% der Patienten werden durch eine solche Operation anfallsfrei.

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Absenceepilepsien

Absencen kommen bei verschiedenen Epilepsieformen vor. Bei den sog. Absenceepilepsien sind sie die prägende Anfallsform, bei anderen Epilepsien treten sie hinter weiteren gleichzeitig vorkommenden Anfallsformen zurück, z.B. bei den Epilepsien mit myoklonisch-astatischen Anfällen oder bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie, die weiter unten dargestellt werden.

Je nachdem, wie alt die Patienten bei Beginn der Absenceepilepsien sind, werden zwei Hauptverlaufsformen unterschieden: im Vorschulalter und frühen Schulalter beginnt die Absenceepilepsie des Kindesalters (Pyknolepsie) und um die Pubertät herum zeigt sich die Absenceepilepsie des Jugendalters (juvenile Absenceepilepsie). Die Tabelle 3 zeigt die Kurzcharakteristika der beiden Absenceepilepsien.

Tabelle 3. Die zwei Formen der Absenceepilepsien

Absenceepilepsie des Kindesalters Absenceepilepsie des Jugendalters

Die Absenceepilepsie des Kindesalters (Pyknolepsie) hat einen Anteil von 6 - 12% an allen Epilepsien. Sie tritt meist im Alter zwischen 3 und 12 Jahren auf, allerdings eher selten vor dem 5. Lebensjahr. Ihr liegt häufig eine erbliche Bereitschaft zu Anfällen zugrunde, die Kinder sind im übrigen unauffällig. Es sind überwiegend Mädchen betroffen. Charakteristisch für diese Epilepsieform ist das stark gehäufte Auftreten der Absencen, täglich werden bis zu 100 Anfälle oder noch mehr beobachtet, was zur Verschlechterung der Schulleistungen führt. Oft wird fälschlicherweise angenommen, die Kinder würden im Unterricht träumen. Im EEG finden wir während der Absencen das klassische regelmäßige 3/Sek.-Sekunde-Spike-Wave-Muster über allen Hirngebieten. Strukturelle Hirnveränderungen lassen sich nicht nachweisen. Durch die antiepileptischen Medikamente Ethosuximid und Valproinsäure, einzeln oder, falls notwendig, auch in Kombination, kann bei 90% der Betroffenen Anfallsfreiheit erreicht werden, oft mit völliger Ausheilung. Nach 2-3 Jahren Anfallsfreiheit können die Medikamente meist wieder abgesetzt werden. Spontane Ausheilungen dieser Epilepsieform kommen ebenfalls vor.

Die Absenceepilepsie des Jugendalters zeigt sich zwischen dem 7. und 17. Lebensjahr, am häufigsten zwischen 10 und 12 Jahren. Jungen und Mädchen sind gleich häufig betroffen. Ihr Anteil an allen Epilepsien der Kinder bis zum Alter von 15 Jahren beträgt 2%. Bei dieser Verlaufsform treten die Absencen erheblich seltener als bei der Pyknolepsie auf, tagelange Pausen kommen vor. Sehr häufig haben die Betroffenen zusätzlich noch generalisierte tonisch-klonische Anfälle (Grand-mal-Anfälle). Im EEG sind Spike-Wave- oder Polyspike-Wave-Entladungen mit einer Frequenz von 3,5-4 Wellen/Sekunde zu sehen. Bei dieser Epilepsieform ist Valproinsäure das beste Medikament, da es gleichzeitig gegen die Absencen und die großen Anfälle wirksam ist; gelegentlich muss es mit Ethosuximid oder anderen Medikamenten kombiniert werden. Die Zukunftsaussichten sind nicht ganz so günstig wie bei der Pyknolepsie, vor allem, wenn sich die großen Anfälle häufen. Ein Teil der Betroffenen hat langfristig soziale Probleme.

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Juvenile myoklonische Epilepsie
(Janz-Syndrom)

Die juvenile myoklonische Epilepsie (Janz-Syndrom) macht etwa 5 - 10% aller Epilepsien aus. Betroffen sind gesunde Jugendliche im Alter zwischen 12 und 18 Jahren, nicht selten auf erblicher Basis. Die wesentlichen Kennzeichen dieser Epilepsie sind in der Tabelle 4 aufgelistet.

Tabelle 4. Juvenile myoklonische Epilepsie

Das charakteristische Merkmal dieser Epilepsie sind mehr oder weniger stark ausgeprägte Muskelzuckungen (Myoklonien). Bei den Jugendlichen können die Myoklonien sehr heftig ablaufen. Der Anfall äußert sich in plötzlichen, heftigen, ungerichteten ausfahrenden Bewegungen der Schultern und Arme, zum Teil auch mit Einknicken der Beine. Es kann bei einem einzelnen myoklonischen Anfall bleiben, es können aber auch salvenförmig mehrere einschießenden Zuckungen auftreten. In der Hand gehaltene Gegenstände können dabei fortgeschleudert werden. Wegen der Kürze des Anfalls ist das Bewusstsein im Anfall nicht beeinträchtigt. Es besteht eine Neigung zur Anfallshäufung in der Zeit nach dem Aufwachen. Schlafentzug und vorzeitiges Wecken fördert das Auftreten dieser Anfälle.

Bei dieser Epilepsieform treten neben den myoklonischen Anfällen häufig auch GM-Anfälle auf, seltener auch Absencen.

Diese Epilepsie spricht gut auf bestimmte Medikamente an (Valproat, Lamictal). Die Diagnose juvenile myoklonische Epilepsie bedeutet aber leider fast immer, dass der Betroffene sein ganzes Leben lang das Medikament einnehmen muss.

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Grand-Mal-Epilepsien, insbesondere Aufwach-Grand-Mal-Epilepsie

Grand-Mal-Epilepsien sind durch generalisierte, d.h. den ganzen Körper betreffende tonisch-klonische Anfälle (GM-Anfälle) charakterisiert. Man unterscheidet zwischen den Epilepsien mit primär generalisierten Anfällen, die von Anfang an beide Hirnhälften betreffen, und den Epilepsien mit sekundär generalisierten Anfällen, bei denen die Anfälle zunächst von einem Schädigungsherd ausgehen und dann sekundär die gesamte Hirnrinde einbeziehen. Die GM-Anfälle können zu jeder Tages- und Nachtzeit auftreten. Als zwei Sonderformen gibt es die Aufwach- bzw. die Schlaf-Grand Mal-Epilepsie. Die Namen besagen, dass sich die Anfälle ganz überwiegend oder ausschließlich im Aufwachen oder im Schlaf ereignen. Grand-Mal-Anfälle komplizieren häufig andere Epilepsieformen, z.B. die Absenceepilepsien.

Die Aufwach-Grand-Mal-Epilepsie als eigenständiges Epilepsiesyndrom kommt vor allem im 2. Lebensjahrzehnt vor, sie wird häufig vererbt, die Betroffenen sind im übrigen ganz gesund. Ihr Anteil an allen Epilepsien beträgt etwa 5%. Wie der Name sagt, treten die Anfälle vorwiegend kurz nach dem Erwachen (morgens oder auch nach dem Mittagsschlaf) auf, manchmal auch am Feierabend. Eine Kurzcharakteristik dieses Epilepsie-Syndrom findet sich in der Tabelle 5.

Tabelle 5. Aufwach - Grand-Mal-Epilepsie

Der typische Grand-Mal-Anfall läuft in der Regel in mehreren Stadien ab:

Beginn mit einem plötzlichen Bewusstseinsverlust, verbunden mit einem gepressten Schrei. Bei aufrechter Körperhaltung kommt es zu einem Sturz, wobei sich der Patient verletzen kann.

Im tonischen Stadium kommt es zu einer Versteifung sämtlicher Gliedmaßen, der Gesichts-, Hals- und Rumpfmuskulatur, die etwa 10 bis 30 Sekunden lang anhält.

Im darauffolgenden klonischen Stadium treten generalisierte symmetrische Zuckungen auf, die besonders an Kopf, Armen und Beinen sichtbar sind und etwa 40-60 Sekunden andauern.

Zu Beginn des Anfalls zeigt sich ein Atemstillstand, später eine verlangsamte und erschwerte Atmung. Es wird schaumiger Speichel abgesondert, der bei einem Zungenbiss blutig verfärbt ist. Die Gesichtsfarbe ist anfangs blass, später leicht bis stark bläulich verfärbt.

Die tiefe Bewusstlosigkeit während des Anfalls geht gleitend in einen tiefen Nachschlaf über, der bei einigen Patienten nur sehr kurz anhält, bei anderen aber viele Stunden dauern kann. Patienten, bei denen der Nachschlaf nur sehr kurz ist oder ganz fehlt, zeigen statt dessen häufig einen Verwirrtheitszustand mit einer Bewegungsunruhe, Verkennen von Ort und Personen sowie einen Drang, ziellos davon zu laufen.

Diese Epilepsie ist nicht schwierig zu behandeln, das am besten wirksame Mittel ist Valpraot. Wenn der Betroffene regelmäßig die Medikamente einnimmt, bleibt er in der Regel anfallsfrei. Schlafentzug, übermäßiger Alkoholgenuss und starker Stress begünstigen das Auftreten der Anfälle. War der Jugendliche 5 Jahre anfallsfrei, so ist ein Absetzversuch möglich, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit treten aber wieder Anfälle auf.

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BNS-Krämpfe (West-Syndrom)

BNS-Krämpfe beginnen fast immer im ersten Lebensjahr, ganz überwiegend zwischen dem 2. und 10. Lebensmonat. Bei der großen Mehrzahl der Kinder zeigt sich dann auch ein Entwicklungsstillstand, oder die Kinder verlernen sogar wieder Fähigkeiten, die sie vorher schon beherrschten. Zeigt sich im EEG ein bestimmtes krankhaftes Muster, die sog. Hypsarrhythmie (s.u.), so wird die Diagnose eines West-Syndroms gestellt. Dieses Syndrom ist nach dem Arzt Dr. West benannt worden, der diese Epilepsieform 1841 zum ersten Mal bei seinem eigenen Sohn ausführlich beschrieben hat. In Deutschland meinen die Begriffe BNS-Krämpfe und West-Syndrom das gleiche Krankheitsbild. Tabelle 6 zeigt die Kurzcharakteristik dieser Epilepsie.

Die Mehrzahl der Kinder mit BNS-Krämpfen ist zerebral vorgeschädigt, wobei als Ursachen alle Schädigungen in Betracht kommen, die das kindliche Gehirn während der Schwangerschaft, unter der Geburt und in der frühen Säuglingszeit treffen können: z.B. Gehirnfehlbildungen, Fehlbildungssyndrome mit Entwicklungsstörungen des Gehirns, Veränderungen der Chromosomen, angeborene Stoffwechselstörungen, Sauerstoffmangel, Infektionen des Gehirns. Bei diesen Kindern mit sog. symptomatischen BNS-Krämpfen sind die zerebralen Anfälle nur ein Zeichen einer ausgedehnten Hirnschädigung, denn die Kinder haben in der Regel weitere neurologische Ausfälle, z.B. einen schweren allgemeinen Entwicklungsrückstand, Bewegungsstörungen, Wahrnehmungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten. Bei einer kleineren Gruppe von Kindern lässt sich allerdings keine Ursache nachweisen. Diese Kinder verhalten sich bis zum Auftreten der BNS-Krämpfe normal. In diesen Fällen nimmt man aber doch eine verborgene Ursache an und spricht von sog. kryptogenen BNS-Krämpfen. Sehr selten treten BNS-Krämpfe allein auf erblicher Basis auf (z.B. bei Geschwistererkrankungen), die dann als idiopathische BNS-Krämpfe bezeichnet werden.

Ein unentbehrliches Hilfsmittel zur Diagnose des West-Syndroms ist die EEG-Untersuchung, die am besten beim schlafenden Kind durchgeführt wird. Ein wichtiges EEG-Merkmal des West-Syndroms ist die sog. Hypsarrhythmie. Darunter versteht man ein EEG-Muster mit fortlaufend auftretenden sehr langsamen, unregelmäßigen Wellen, in die mit wechselnder Lokalisation und Häufigkeit epileptische Potentiale eingelagert sind. Die Hypsarrhythmie ist in der Regel ununterbrochen nachweisbar, d.h. auch in den anfallsfreien Zeiten und sowohl im Wach- als auch im Schlafzustand.

Bei Auftreten der BNS-Krämpfe sind je nach der Vorgeschichte und den in Frage kommenden Ursachen einige Laboruntersuchungen notwendig, z.B. zur Suche nach angeborenen Stoffwechselkrankheiten oder nach angeborenen Infektionen wie z.B. Cytomegalie-Virus-Infektionen. Als modernes bildgebendes Verfahren wird zur Untersuchung des Gehirns neben der Ultraschalluntersuchung die Kernspintomographie eingesetzt.

Tabelle 6. BNS-Krämpfe (West-Syndrom)

BNS-Krämpfe sind schwierig zu behandeln, denn nur ein Teil der Kinder wird durch die bisher zur Verfügung stehenden Medikamente anfallsfrei. Über viele Jahre wurden Hormone [Adrenocorticotropes Hormon (ACTH) und Nebennierenrindenhormone] als wirksamste Substanzen eingesetzt. Leider ist die ACTH-Behandlung mit ganz erheblichen Nebenwirkungen behaftet (z.B. verminderte Abwehr von Infektionen, Bluthochdruck, krankhafte Veränderungen der Herzmuskulatur), etwa 1 - 3% der behandelten Kinder versterben durch Komplikationen dieser Behandlung. In den letzten Jahren werden deshalb zunehmend andere Medikamente mit weniger Nebenwirkungen eingesetzt (Vigabatrin, Valproat). Keine tödlichen Nebenwirkungen zeigt Vigabatrin, das fast so gut wie ACTH hilft. Allerdings besteht die Gefahr, dass ein entsprechend großer Teil der Kinder Einschränkungen des äußeren Gesichtsfeldes bekommt, wie sie bei etwa einem Drittel der behandelten Erwachsenen nachgewiesen wurden. Vigabatrin ist besonders gut bei den Kindern mit BNS-Krämpfen wirksam (über 90%), bei denen diese durch die angeborene Krankheit der tuberösen Hirnsklerose hervorgerufen wurden.

Die Zukunftsaussichten der Kinder mit BNS-Krämpfen sind abhängig von der Ursache der Hirnschädigung. Mehr als die Hälfte der Kinder mit den sog. kryptogenen BNS-Krämpfen zeigen später eine normale oder annähernd normale Entwicklung, während von den Kindern mit den symptomatischen BNS-Krämpfen kaum ein Kind eine normale Entwicklung vor sich hat. Auch bei anhaltender Anfallsfreiheit setzen die meisten Epileptologen die Medikamente frühestens nach 2-3 Jahren ab. Ein Teil der Kinder mit symptomatischen BNS-Krämpfen hat zwar nach einiger Zeit keine BNS-Krämpfe mehr, dafür treten aber andere Epilepsieformen an die Stelle der BNS-Krämpfe, z.B. das Lennox-Gastaut-Syndrom oder Epilepsien mit generalisierten Anfällen oder mit komplexen fokalen Anfällen.

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Lennox-Gastaut-Syndrom

Das Lennox-Gastaut-Syndrom gehört zu den schwersten Epilepien des Kindes- und Jugendalters. Die charakteristischen Merkmale dieses Epilepsie-Syndroms sind in der Kurzcharakteristik aufgeführt. Der Name geht auf die beiden Ärzte Lennox und Gastaut zurück, die am meisten zur Charakterisierung dieses Syndroms beigetragen haben. Das Lennox-Gastaut-Syndrom ist durch ein sehr häufiges Auftreten verschiedener Anfallsformen gekennzeichnet. Die das Krankheitsbild prägenden drei Anfallstypen sind: atypische Absencen, (nächtliche) tonische Anfälle und Sturzanfälle. Darüber hinaus können bei den Betroffenen noch weitere Anfallsformen auftreten: myoklonische Anfälle, fokale Anfälle und Grand mal-Anfälle. Eine Kurzcharakteristik dieses Epilepsie-Syndroms findet sich in der Tabelle 7.

Tabelle 7. Lennox-Gastaut-Syndrom

Das Lennox-Gastaut-Syndrom macht 1 - 2% aller Epilepsien (Kinder bis 15 Jahre) aus, allerdings bis zu 50% unter den Epilepsien, die durch Medikamente kaum beeinflussbar sind. Bei etwa Zweidrittel der Fälle kann eine Ursache gefunden werden: eine vorangegangene Hirnschädigung durch angeborene Fehlbildungen oder Aufbaustörungen des Gehirn, angeborene oder erworbene Infektionen des Gehirns, Sauerstoffmangel (Geburtstrauma), Kopfunfälle, und selten durch angeborene Stoffwechselkrankheiten.

Diese Epilepsie beginnt gewöhnlich im Alter von 3 bis 5 Jahren, kann aber auch schon ab dem Alter von 2 Jahren auftreten, selten nach dem 8. Geburtstag. Das Kind ist vor Beginn der Epilepsie völlig normal entwickelt oder, was häufiger der Fall ist, es ist schon vorher auffällig durch eine Entwicklungsverzögerung. Bei einem Teil dieser Kinder sind schon andere Anfälle wie z.B. Fieberkrämpfe oder generalisierte tonisch-klonische Anfälle (GM-Anfälle) vorangegangen. Etwa ein Fünftel der Kinder mit einem Lennox-Gastaut-Syndrom hatte zuvor BNS-Krämpfe. Im Folgenden werden die Anfallsformen beschrieben, die beim Lennox-Gastaut-Syndrom vorkommen können.

Atypische Absencen

Im Gegensatz zu den einfachen Absencen geht die Bewusstseinsstörung bei den atypischen Absencen mit einer Reihe deutlich ausgeprägter Begleiterscheinungen einher, sie dauern auch meist länger als die einfachen Absencen an (1-2 Minuten). Je nach der Art der zusätzlichen Merkmale unterscheiden wir mehrere Unterarten. Bei den atypischen Absencen mit einer myoklonischen Komponente kommt es neben der Bewusstseinsstörung gleichzeitig zu rhythmischen Muskelzuckungen, vorwiegend im Bereich des Gesichtes (Augenlider, Mundwinkel), der Schultern und Arme. Bei den komplexen Absencen mit atonischen Komponenten kommt es während des Anfalls zu einer Abnahme der Grundspannung der Muskulatur des Körpers oder der Gliedmaßen. Der Kopf kann absinken, der Rumpf kann zusammensacken, und die Arme können erschlaffen; nur selten fällt der Patient allerdings hin. Bei den atypischen Absencen mit tonischen Komponenten kommt es neben der Bewusstseinspause zu einer Anspannung der Körpermuskulatur. Es ist möglich, daß der Kopf nach hinten gezogen wird. Bei den atypischen Absencen mit Automatismen kann die vorher begonnene Tätigkeit automatisch fortgeführt werden oder es treten andere Automatismen auf, wie z.B. unwillkürliches Lecken der Lippen oder Schlucken, Händereiben oder Nesteln an der Kleidung. Ein besonderes Kennzeichen der atypischen Absencen ist ihre Neigung, immer häufiger hintereinander aufzutreten, bis schließlich ein Anfall in den nächsten übergeht. Dieser gefährliche Zustand wird Status epilepticus genannt. Nach einem solchen Status epilepticus büßen einige der Kinder schon erlernte Fähigkeiten wieder ein.

Tonische Anfälle

Beim tonischen Anfall kommt es zu einer allgemeinen Versteifung der Muskulatur. Überwiegt die Verkrampfung der Beugemuskeln, kommt es zu einer Beugehaltung des Körpers, wobei die Arme gebeugt oder gestreckt emporgehoben werden. Überwiegt dagegen die Verkrampfung der Streckmuskulatur, kann hieraus eine Überstreckung des ganzen Körpers resultieren. Die Dauer solcher Anfälle beträgt bis zu 30 Sekunden. Tonische Anfälle treten bevorzugt aus dem Schlaf heraus auf. Im Schlaf haben sie häufig eine milde Form: Kurzes Überstrecken des Kopfes, der sich dabei ins Kopfkissen drückt, verbunden mit einem kurzen Öffnen der Augen. Diese kurzen Anfälle aus dem Schlaf heraus können leicht übersehen werden. Wenn die tonische Verkrampfung der Brust- und Bauchmuskulatur zu einem kurzen gepressten Schrei führt, werden Eltern oder Beobachter auf die Anfälle aufmerksam. Die Patienten werden oft kurz wach, schlafen dann aber schnell wieder weiter. Treten tonische Anfälle aus dem Wachzustand beim Gehen oder Stehen auf, führen sie zu schweren abrupten Stürzen mit der großen Gefahr von Verletzungen.

Myoklonische Anfälle

Das gemeinsame Merkmal dieser Anfälle sind mehr oder weniger stark ausgeprägte Muskelzuckungen (Myoklonien). Es kommt zu Zuckungen des Kopfes und der Arme, die Beine sind meist weniger beteiligt. Die Dauer der Anfälle schwankt zwischen wenigen Sekunden und 30 Sekunden. Während des Anfalls bleiben die Patienten entweder stehen, taumeln oder fallen hin.

Sturzanfälle

Die Bezeichnung Sturzanfälle besagt, dass der Patient plötzlich und unerwartet hinfällt. Die Stürze können mehrere unterschiedliche Ursachen haben: a) weil sich der Körper und insbesondere die Beine versteifen, wodurch das Gleichgewicht verloren geht (durch tonische Anfälle); b) weil der Körper und insbesondere die Beine jede Spannung und Kraft verlieren (durch atonische Anfälle oder atypische Absencen) oder c) weil eine plötzliche starke Muskelzuckung dazu führt, dass der Patient zu Boden fällt (myoklonische Anfälle). Manchmal nickt das Kind nur mit dem Kopf (Nickanfälle) oder es knickt nur leicht in den Beinen ein und richtet sich sofort wieder auf, ohne hinzufallen. Nach tonischen Anfällen tritt kein Nachschlaf ein, oft folgt nur eine kurze Reorientierungsphase.

Durch das Hinstürzen kann sich der Betroffene schwer am Kinn, an der Stirn oder am Hinterkopf verletzen, da er im Augenblick des Sturzes keine Schutzbewegungen ausführen kann. Die Sturzanfälle haben die Neigung, sehr häufig aufzutreten, d. h. ein Kind oder Jugendlicher können mehrmals täglich Sturzanfälle haben. Wegen der hohen Verletzungsgefahr ist es dann für die Betroffenen ratsam, eine Kopfschutzkappe zu tragen.

Behandlung

Die Behandlung des Lennox-Gastaut-Syndroms ist außerordentlich schwierig, denn es spricht nur schlecht auf Medikamente an. Nur bei einem kleinen Teil der Patienten (etwa 10%) gelingt es, Anfallsfreiheit zu erreichen, bei dem größeren Teil der Patienten kann man allerdings die Zahl der Anfälle vermindern. Setzt man ein neues Medikament ein, so ist es häufig nur vorübergehend wirksam, nach einigen Monaten stellt sich wieder der alte Zustand ein. Bei einem kleineren Teil erreicht man durch Medikamente überhaupt keine Besserung. In diesen Fällen wird heute die ketogene Diät empfohlen.

Alle zur Verfügung stehenden antiepileptisch wirkenden Medikamente sind bei dieser häufig katastrophal verlaufenden Epilepsie versucht worden. Zu den wirksamsten alten Medikamenten gehören: Valproinsäure, Benzodiazepine (insbesondere Frisium), Primidon, Carbamazepin. Einige der neuen Antiepileptika sind beim Lennox-Gastaut-Syndrom nachgewiesenermaßen wirksam: Lamictal, Felbamat, Topamax. Ein kleiner Teil der Patienten wird anfallsfrei, etwa die Hälfte profitieren davon. Ein entscheidender Durchbruch in der Behandlung ist aber auch mit diesen Substanzen bisher noch nicht gelungen.

Prognose

Die Zukunftsaussichten (Prognose) der Kinder und Jugendlichen mit dieser Epilepsie sind sehr getrübt. Nur etwa 5% der Kinder wachsen aus dieser Krankheit heraus und können ein normales Leben führen. Bei der großen Mehrzahl der Patienten bestehen die Anfälle fort und es kommt im Laufe der Zeit zunehmend zu einem Abbau geistiger Fähigkeiten. Diese Patienten sind ihr Leben lang auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen.

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Myoklonisch-astatische Epilepsie

Diese Epilepsieform muss vom Lennox-Gastaut-Syndrom abgegrenzt werden, denn die Zukunftsaussichten (Prognose) der Kinder mit dieser Epilepsie sind viel günstiger. Die wesentlichen Merkmale dieses Epilepsie-Syndroms sind in der Kurzcharakteristik der Tabelle 8 wiedergegeben.

Tabelle 8. Myoklonisch-astatische Epilepsie

Die myoklonisch-astatische Epilepsie macht etwa 2 - 4% aller Epilepsien des Kindesalters aus. Sie beginnt im 1.-5. Lebensjahr, die betroffenen Kinder sind bei Beginn dieser Epilepsieform meist normal entwickelt. Als Ursache spielt die Vererbung die größte Rolle. Auch bei dieser Epilepsie treten häufig mehrere Anfallsformen auf: am häufigsten myoklonische und astatische Anfälle mit Hinfallen, daneben Absencen und häufiger auch generalisierte tonisch-klonische Anfälle (GM-Anfälle), nicht aber die für das Lennox-Gastaut-Syndrom typischen tonischen Anfälle. Vor allem die Absencen neigen dazu, gehäuft aufzutreten. Reiht sich eine Absence an die andere, so geraten die Kinder in einen Dämmerzustand, in dem sie andere Personen und die Umwelt nicht mehr richtig wahrnehmen. Die Kinder sind dann in allen ihren Reaktionen erheblich eingeschränkt. Dieser Zustand wird Absencestatus oder Petit-Mal-Status genannt. Wird ein solcher Absencestatus über Tage, Wochen oder gar Monate nicht erkannt und behandelt, so büßen die Kinder dadurch häufig bleibend geistige Fähigkeiten ein. Ein Absencestatus kann durch die intravenöse Verabreichung eines Benzodiazepins, wie z.B. Rivotril, unterbrochen werden.

Die Kinder sprechen in der Regel ganz gut auf die Medikamente an, die wirksamsten sind Valproinsäure und Ethosuximid, evtl. in Kombination mit Primidon. Auch die neuen Antiepileptika Lamotrigin, Felbamat und Topamax sind bei dieser Epilepsie gut wirksam.

Die Prognose der Kinder mit dieser Anfallsform ist unterschiedlich. Sie ist vor allem davon abhängig, ob wiederholt ein längerdauernder Absencestatus aufgetreten ist. Bei den Kindern mit einem günstigen Verlauf kann man frühestens nach 2-3 Jahren Anfallsfreiheit den Versuch machen, die Medikamente wieder abzusetzen.

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