Wenn im Kindesalter eine Epilepsie neu auftritt, so sollte der Anfallsablauf möglichst genau beobachtet und beschrieben werden, damit die Anfälle entsprechend der Klassifikation der Internationalen Liga gegen Epilepsie richtig eingeordnet werden können.
Neben dem Routine-Wach-EEG sollte auch ein Kurzzeit-Schlaf-EEG durchgeführt werden, damit die epileptischen Entladungen, die nur im Schlaf auftreten (z.B. bei der benignen fokalen Epilepsie des Kindesalters), nicht übersehen werden. Die Einordnung der Anfälle wird durch die videogestütze gleichzeitige Aufzeichnung von EEG und Anfall (synchrone Doppelbildaufzeichnung) erleichtert. Gerade bei Kindern gilt in Bezug auf das EEG nach wie vor, dass ein unauffälliges EEG eine Epilepsie nicht ausschließt und umgekehrt der Nachweis epilepsietypischer Entladungen im EEG nicht das Vorliegen einer Epilepsie beweist.
Zur Darstellung von Hirnschäden bedient man sich der sog. bildgebenden Verfahren, wozu die zerebrale Computer-Tomographie (CT) und die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) gehören. Die MRT ist in fast allen Fällen die bessere Methode. Bei Neugeborenen und Säuglingen kann man mit der Schädelsonographie (durch die noch offene Fontanelle) auch eine Reihe von Hirnveränderungen darstellen. Aber erst durch den Einsatz der sog. hochauflösenden MRT wird erkennbar, dass kleinere umschriebene Fehlbildungen in der Hirnrinde (z.B. eine verbreiterte Hirnwindung) eine häufige Ursache schwer behandelbarer Epilepsien sind.
Wenn alle Angaben bezüglich der Familiengeschichte, des Entwicklungsverlaufs des Kindes, der Anfallsform, des EEG-Befundes und die Ergebnisse der bildgebenden Verfahren vorliegen, kann die Diagnose einer bestimmtem Epilepsie bzw. eines bestimmten Epilepsiesyndroms entsprechend der Klassifikation der Internationalen Liga gegen Epilepsie gestellt werden. Unter Epilepsiesyndrom versteht man eine Krankheitseinheit, die durch bestimmte Anfallsformen, durch das Lebensalter bei Beginn der Epilepsie, durch die Ursache der Epilepsie, durch den EEG-Befund und durch die Zukunftsaussichten (Prognose) charakterisiert ist.
Die Behandlung von Kindern mit Epilepsien erfordert nicht nur die Medikamentengabe, wodurch weitere Anfälle verhindert werden, sondern auch die Beachtung psychischer und sozialer Aspekte. Die soziale Integration des Kindes in Familie, Schule und Beruf muss erhalten bleiben. Dieses wird u.a. dadurch erreicht, dass die Betroffenen bzw. ihre Familien und Betreuer über die Eigenschaften und Auswirkungen der Epilepsie ganz genau informiert werden. Dadurch werden vor allem unnötige Ängste und Befürchtungen vermieden, was der Lebensqualität des betroffenen Kindes und seiner Familie dient.
Erst wenn bei einem Kind zwei oder mehr epileptische Anfälle ohne ersichtliche Ursache aufgetreten sind, spricht man von Epilepsie. In diesem Fall kann man mit der medikamentösen Behandlung beginnen, muss es aber noch nicht unbedingt. Die Zukunftsaussichten der Kinder scheinen nicht beeinträchtigt zu werden, wenn unter bestimmten Umständen noch einige weitere Anfälle abgewartet werden.
Vor Beginn der medikamentösen Behandlung müssen die Risiken der Behandlung (Beeinträchtigung des Denkens, Verhaltensstörungen und andere Nebenwirkungen) gegen die Risiken der Anfälle (Verletzung durch Sturz, Gefahr des Status epilepticus, Einschränkung der Aktivitäten und soziales Stigma aufgrund der Anfälle) gegeneinander abgewogen werden.
Unter folgenden Bedingungen ist in der Regel keine Langzeitbehandlung notwendig:
Nach einem ersten Krampfanfall ohne Fieber
beträgt das Risiko für weitere Anfälle (ohne Medikamentengabe) bei Kindern etwa 50%
in den ersten 2 Jahren nach dem Anfallsereignis.
Bei der Rolando-Epilepsie (benigne fokale Epilepsie des
Kindesalters mit zentrotemporalen Spikes) hat ein Viertel der Patienten
überhaupt nur einen Anfall, die Hälfte der Patienten hat weniger als 5 Anfälle
insgesamt.
Für jedes Kind bedarf es aber einer ganz individuellen Entscheidung, alle aufgezeigten Aspekte der Behandlung müssen berücksichtigt werden.
Ist die Entscheidung gefallen, dass eine medikamentöse Langzeitbehandlung notwendig ist, so sollte zunächst nur eine einzige Substanz (Monotherapie) angewendet werden. Die Wahl des Antiepileptikums richtet sich in erster Linie nach der Art der Anfälle bzw. Art der Epilepsie. Ziel der Behandlung ist die Anfallsfreiheit ohne unerwünschte Wirkungen oder mit erträglichen Nebenwirkungen. Je nach Wirkung und Nebenwirkungen muss die Dosis des Medikamentes individuell angepasst werden.
Falls die Behandlung mit dem gewählten Antiepileptikum nicht den gewünschten Erfolg hat, so kann dieses mehrere Gründe haben:
Besondere Nachteile der Kombinationstherapie sind die erschwerte Beurteilung von Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Einzelsubstanzen, die Beeinflussung der Medikamente untereinander, das erhöhte Vergiftungsrisiko (Langzeittoxizität) und die Schädigung des ungeborenen Kindes einer schwangeren Mutter mit Epilepsie (Teratogenität).
Der Nutzen der neuen Antiepileptika [Vigabatrin (Sabril), Lamotrigin (Lamictal), Felbamat (Taloxa), Gabapentin (Neurontin), Tiagabin (Gabitril), Topiramat (Topamax)], die in der Mehrzahl nur zur Kombinationstherapie zugelassen sind, ist bei den meisten Epilepsiesyndromen des Kindesalters noch nicht genau bestimmbar. Die neuen Antiepileptika führen in etwa 25 - 45% der Patienten mit fokalen Epilepsien zu einer mehr als 50%igen Anfallsreduktion. Sie sind in der Regel besser verträglich als die konventionellen Antiepileptika.
Die Bestimmung der Konzentrationen der Antiepileptika im Blut wird noch zu häufig durchgeführt. Routinebestimmungen sind von geringem Wert. Sinnvoll sind Bestimmungen vor Beginn der Therapie, nach der Höherdosierung, bei Auftreten von Nebenwirkungen, bei mangelhaftem Therapieerfolg, bei Complianceproblemen und bei der Kombinationstherapie, falls mit erheblichen Interaktionen der Antiepileptika gerechnet werden muss. Bei der Beurteilung der Blutwerte ist es am besten, von einem unteren, mittleren und oberen Wirkbereich zu sprechen. Jeder Patient hat seinen individuellen therapeutischen Bereich, der von den vorgegebenen Laborwerten abweichen kann.
Bevölkerungsstudien haben gezeigt,
Zu den schlecht kontrollierbaren Epilepsie-Syndromen gehören das West-Syndrom, das Lennox-Gastaut-Syndrom, die Epilepsie mit myoklonischen Absencen und die myoklonisch-astatische Epilepsie. Man kann damit rechnen, dass 60 - 80% aller Kinder im Laufe des Lebens ihre Epilepsie verlieren.
Das Absetzen wird üblicherweise frühestens nach 2 Jahren Anfallsfreiheit empfohlen. Eine
Faustregel besagt, dass bei etwa 30% der Kinder nach dem Absetzen innerhalb von 2 Jahren
wieder Anfälle auftreten.
Günstige Faktoren im Hinblick auf bleibende Anfallsfreiheit sind: ein normales EEG vor dem
Absetzen sowie ein Lebensalter von über 2 Jahren und unter 12 Jahren bei Beginn der Epilepsie.
Ungünstige Faktoren sind: bestimmte Anfallsformen (tonische Anfälle, atonische Anfälle, atypische
Absencen, BNS-Krämpfe, neurologische Störungen und eine erhebliche geistige Retardierung.
Ebenso wie der Beginn einer Behandlung bedarf auch die Beendigung der Behandlung einer individuellen Entscheidung, bei der alle Aspekte der Epilepsie und die Lebensbedingungen des Betroffenen berücksichtigt werden müssen.
Bei anfallsfreien Kindern kann man die Antiepileptika frühestens absetzen:
Beim Absetzen empfiehlt sich folgendes Vorgehen: im Verlauf von 3 - 6 Monaten wird alle 4 Wochen die Dosis des Medikamentes um 15 - 25% reduziert. Werden zwei oder mehr Medikamente gleichzeitig eingenommen, so kann man die Dosis des 2. bzw. 3. Antiepileptikums alle 2 Wochen um 25% verringern.