LEBEN MIT MS

 

Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in der Immunmodulatorischen Stufentherapie der Multiplen Sklerose

 

Zweite aktualisierte Ergänzung der länderübergreifenden Therapieempfehlungen erschienen

In der Zeitschrift „Der Nervenarzt“ vom Juni 2002 wurde die II. Ergänzung zur „Immunmodulatorischen Stufentherapie“ veröffentlicht. Mit dieser fortlaufenden Aktualisierung sind die Therapieempfehlungen der Multiple Sklerose Therapie Konsensus Gruppe (MSTKG) immer auf dem neuesten Stand der Wissenschaft.

Im Jahr 1999 setzten sich erstmals die Vertreter der Ärztlichen Beiräte der deutschen, österreichischen und schweizerischen MS-Gesellschaften unter Federführung des Ärztlichen Beirates der DMSG-Bundesverband zusammen, um im gemeinsamen Konsens einheitliche Therapieempfehlungen zur Behandlung der MS zu entwickeln. Seitdem haben diese sowohl national als auch international starke Beachtung gefunden. Im Dezember 2000 erschien die I. Ergänzung, und da es seitdem wiederum eine Vielzahl neuer Erkenntnisse in der Forschung gegeben hat, wurde nun, mit dem Stand vom März 2002, die II. Ergänzung veröffentlicht.

Die aktualisierte Fassung zum Einsatz der immunmodulatorischen Stufentherapie bei der Behandlung der Multiplen Sklerose umfasst erstmals auch Aspekte der Diagnostik, Dokumentation und Kosten der Erkrankung. Die Umsetzung der aus Studiendaten gewonnenen Erkenntnisse in konkrete, evidenz-basierte Therapieempfehlungen, wie sie in den ersten beiden Publikationen der MSTKG dargestellt wurden, hat bereits zu einer Verbesserung der Behandlung von MS-Patienten geführt. Es deutet sich an, dass die neu gewonnene positive Einstellung zu einer aktiveren immunmodulatorischen Therapie auch eine Schrittmacherfunktion für die MS-Behandlung im Ganzen besitzt.

Durch die zunehmend standardisierte Dokumentation des Krankheitsverlaufes kann die individuelle Begründung zum Einsatz neuer preisintensiver Medikamente sowohl für den Patienten, als auch für den Kostenträger nachvollziehbar gestaltet werden. Hier hat die MSTKG bereits eine erfreuliche Breitenwirkung entfaltet. Viele medizinische Dienste und gerichtliche Sachverständige haben von den Therapieempfehlungen Gebrauch gemacht.

Die nun vorliegende II. Ergänzung fällt in eine Zeit, die von großen strukturellen und finanziellen Umwälzungen im Gesundheitssystem geprägt ist. Umso mehr ist die Konkretisierung evidenz-basierter (d.h. durch wissenschaftlich-exakte Studien bewiesene) Empfehlungen im Rahmen von standardisierten Leitlinien nötig. Die bisherigen Empfehlungen zum Einsatz der immunmodulatorischen Stufentherapie bei aktivem Krankheitsverlauf bleiben insoweit bestehen, als sie nicht durch die unten genannten neuen Erkenntnisse modifiziert werden.   

Neue Diagnosekriterien für die schubförmige MS

Im Sommer 2001 veröffentlichte eine internationale Expertengruppe um Prof. Ian McDonald neue Diagnosekriterien, die so genannten McDonald-Kriterien, welche die Diagnosestellung „Multiple Sklerose“ sicherer möglich machen. Nach diesen Kriterien kann bereits dann eine MS diagnostiziert werden, wenn nach einem ersten Krankheitsschub mit deutlichen Störungen in mindestens einem Funktionssystem , z.B. Sehnerventzündungen, Gefühlsstörungen oder Lähmungen, in einer weiteren Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) ca. drei Monate nach dem Schub mehrere entzündliche Herde, von denen mindestens einer aktiv sein muss, nachgewiesen werden. Unterstützend herangezogen werden die Ergebnisse der Liquoruntersuchung, die bei der Erstsymptomatik vorgenommen werden sollte, sowie der sichere Ausschluss von Krankheitsbildern, die mit einer MS verwechselt werden könnten. Somit kann eine MS frühestens drei Monate nach Auftreten des ersten Schubs diagnostiziert werden. Die Gruppe um McDonald konkretisiert damit die bereits in der I. Ergänzung des Konsensuspapiers vorgeschlagene Erweiterung der diagnostischen Kriterien einer MS. Anstelle der Begriffe „frühe MS“, „Prä-MS“ oder „klinisch isoliertes Syndrom“ wird jetzt zwischen „MS“, „möglicher MS“ und „keine MS“ unterschieden.

Auch der Begriff „Schub“ wurde genauer definiert: Als Schub werden neue oder bereits zuvor aufgetretene klinische Ausfälle und/oder Symptome bezeichnet, die subjektiv berichtet oder durch eine Untersuchung bestätigt werden können und die
- mindestens 24 Stunden anhalten,
- mit einem Zeitabstand von mehr als 30 Tagen zum Beginn des vorangegangenen Schubs auftreten und
- nicht durch eine Änderung der Körpertemperatur oder im Rahmen von Infektionen erklärbar sind.

Krankheitskosten der MS

In den aktuellen Diskussionen um die Kosten im Gesundheitswesen werden vor allem die durch die Diagnostik und Therapie entstehenden Belastungen des Gesamtbudgets genannt. Die indirekten Krankheitskosten wie Verdienstausfall, vorzeitige Berentung, Dienstleistungen sozialer Dienste werden dagegen außer acht gelassen. In einer Studie zu den Gesamtkosten der MS-Behandlung in Deutschland (siehe AKTIV Nr. 190, 1/2001, S. 28) konnte nachgewiesen werden, dass die reinen Therapiekosten bei MS unter Berücksichtigung innovativer Medikamente wie Beta-Interferon oder Glatirameracetat lediglich sieben Prozent des Gesamtbudgets ausmachen. Die Kosten verteilen sich auch nicht gleichmäßig über den gesamten Krankheitsverlauf, sondern erhöhen sich bei höheren Behinderungsstufen zum Teil exponentiell mit zunehmenden EDSS-Graden (Skala zur Einschätzung des Ausmaßes einer Behinderung durch eine MS). Daraus lässt sich eindeutig ableiten, dass eine Stabilisierung der Erkrankung auf niedrigem Behinderungsniveau, die durch einen möglichst frühzeitigen Einsatz schubverzögernder Medikamente bei vielen Patienten erreichbar ist, nicht nur für die Lebensqualität der einzelnen Patienten wichtig ist, sondern unter volkswirtschaftlichen Aspekten auch kostensparend sein kann.
Eine solche Betrachtung in einer wissenschaftlichen Arbeit, die sich mit dem Einsatz wirksamer MS-Therapien beschäftigt, erscheint vielleicht ungewöhnlich, ist aber aufgrund der gegenwärtigen Situation im Gesundheitswesen für die Aufrechterhaltung einer bedarfsangepassten Versorgung aller MS-Patienten von besonderer Bedeutung.

Dosis-Wirkungsbeziehungen der Interferon-beta-Präparate

Die Zulassung der drei Interferon-beta-Präparate (Betaferon ®/Schering, Avonex ®/Biogen und Rebif ®/Serono) für die Behandlung der schubförmigen MS erfolgte aufgrund ihrer nachgewiesenen Wirksamkeit in den eingesetzten Dosierungen.
Für Rebif ® und Betaferon ® konnte eine dosisabhängige Wirksamkeit bei mehrmaliger Anwendung pro Woche gefunden werden. Für Avonex ® liegt inzwischen auch eine Zulassung für die Frühtherapie nach dem ersten Schub bei entsprechender Krankheitsaktivität vor.
In den letzten Monaten wurden mehrere Vergleichsstudien veröffentlicht, in denen sowohl verschiedene Präparate miteinander verglichen als auch unterschiedliche Dosierungen eines Präparates getestet wurden. Für Avonex ® wurde dabei festgestellt, dass eine Dosiserhöhung bei einmaliger wöchentlicher Gabe für keinen der eingeschlossenen EDSS-Grade eine Wirkungssteigerung bringt.
Zwei zur Zeit viel diskutierte Vergleichsstudien untersuchten die Wirksamkeit einer mehrmaligen Beta-Interferon-Anwendung (Rebif ® bzw. Betaferon ®) gegenüber Avonex ®, das nur einmal in der Woche verabreicht werden muss.
Die so genannte EVIDENCE-Studie (Rebif ®, 3x44 mg, gegen Avonex ®, 1 x 30 mg) ergab nach vorläufigen, noch nicht in der Fachpresse vorgestellten Ergebnissen einer Zwischenauswertung nach 24 Wochen eine effektivere Wirksamkeit von Rebif ®. Die Ergebnisse dieser Studie führten zu einer vorzeitigen Marktzulassung von Rebif ® durch das Durchbrechen des „Orphan-drug-status“ von Avonex ® in den USA. Dieser Status regelt in den Vereinigten Staaten die Zulassung von Medikamenten für seltenere Erkrankungen als einzig zugelassene Präparate für eine bestimmte Zeit. Problematisch an dieser Studie sind jedoch zum einen die nicht vorhandene Blindung der Patienten (d.h. sie wussten jeweils, welches Medikament sie bekamen) und auf der anderen Seite die für eine chronische Erkrankung sehr kurze Beobachtungsdauer von derzeit 24 Wochen. Eine abschließende Bewertung wird die MSTKG-Gruppe erst vornehmen, wenn die Daten der Beobachtung über 48 Wochen in einer begutachteten Publikation vorliegen.
In einer zweiten über zwei Jahre durchgeführten Studie (INCOMIN-Studie; Italien), wurde Betaferon ® in der üblichen Dosierung (8 Mill.I.E., jeden 2.Tag) mit der wöchentlichen Gabe von 30 mg Avonex ® hinsichtlich der Wirksamkeit verglichen. Auch hier waren weder Patienten noch Ärzte geblindet, allerdings erfolgte die MRT-Auswertung geblindet und in einer zentralen Abteilung. Als Ergebnis wurden hier in den ersten 24 Wochen keine Unterschiede in der Wirksamkeit gefunden. Im weiteren Verlauf jedoch wurde deutlich, dass unter Betaferon ®-Behandlung die Anzahl schubfreier Patienten höher war als unter Avonex ®. Durch die fehlende Blindung der Ärzte in dieser Studie hinsichtlich der angewendeten Medikation wurde hier allerdings ein wichtiger Qualitätsstandard für zulassungsrelevante MS-Studien nicht erfüllt, was auch die Wertigkeit dieser Studie einschränkt.
Insgesamt muss also hinsichtlich der Ergebnisse dieser Vergleichsstudien gesagt werden, dass daraus bis jetzt keine allgemeine Empfehlung zur unterschiedlichen Indikation der einzelnen zugelassenen Präparate gegeben werden kann.

Einsatz anderer immunmodulatorischer Therapiestrategien

Zu diesem Thema hat sich die Studienlage gegenüber der I. Ergänzung der Therapieempfehlungen kaum verändert. Neuigkeiten gibt es zu Glatirameracetat (Copaxone ®) und dem Einsatz von intravenösen Immunglobulinen.

Glatirameracetat (Copaxone ®)

Seit September 2001 ist Glatirameracetat (Copaxone ®) auch in Deutschland zugelassen (siehe AKTIV 193, 4/2001, S. 5). Die Endauswertung der MRT-Studie zu Glatirameracetat (GA) liegt jetzt vor und es konnte gezeigt werden, dass es ab dem sechsten Behandlungsmonat deutliche Unterschiede hinsichtlich aktiver Läsionen bei den behandelten Patienten gegenüber der Placebogruppe gibt. Die Kenntnis über die Verzögerung bis zum Einsetzen der vollen Wirksamkeit von GA ist für die klinische Anwendungspraxis von Bedeutung, da zum Beispiel Schübe während der ersten Monate nach Beginn der GA-Therapie nicht als Grund für einen Abbruch gedeutet werden dürfen. Die Ergebnisse weisen insgesamt darauf hin, dass Glatirameracetat im Vergleich zu den Beta-Interferonen einen unterschiedlichen Wirkmechanismus hat.
Eine so genannte CORAL-Studie zur oralen Anwendung von Copaxone ® wurde wegen mangelnder Wirksamkeit abgebrochen.

Intravenöse Immunglobuline (IVIG)

Die so genannte ESIMS–Studie, eine neuere, in allen Endpunkten negativ verlaufene Studie zum Einsatz intravenöser Immunglobuline (IVIG) beim sekundär-progredienten Verlauf, zeigte weder einen Effekt auf das Fortschreiten der Krankheit noch auf Schubrate oder MRT-Parameter. Deshalb kann der Einsatz von IVIG beim sekundär-progredienten Verlauf der MS derzeit nicht empfohlen werden. Da bisher keine neuen Studiendaten zu IVIG beim schubförmigen Verlauf vorliegen, ergeben sich keine Änderungen der bestehenden Empfehlungen zum Einsatz von IVIG im Rahmen der immunmodulatorischen Stufentherapie. Bis zum Vorliegen neuer Studienevidenz erscheint der Einsatz oder die Fortführung von IVIG zur Schubprophylaxe in der Basistherapie der schubförmigen MS dann gerechtfertigt, wenn Kontraindikationen für Interferone und Glatirameracetat vorliegen oder die bisherige IVIG-Therapie zu einer gut dokumentierten Stabilisierung des Krankheitsverlaufes geführt hat. Eine Dosis-Vergleichsstudie mit IVIG beim schubförmigen Verlauf ist für Mitte 2002 geplant.

Ethische Aspekte Placebo-kontrollierter Studien

Der Fortschritt in der Entwicklung neuer Therapiekonzepte für die Behandlung der MS ist durch die positiven Ergebnisse großer Placebo-kontrollierter, Multi-Center-Studien zustande gekommen. Durch den zunehmenden Einsatz dieser Präparate hat sich die Situation von MS-Patienten in vielen Ländern verbessert. Aufgrund dieser Tatsache sowie der Empfehlung verschiedener Fachgesellschaften und Konsensusgruppen zum Einsatz einer immunmodulatorischen Basistherapie bei entsprechender Krankheitsaktivität sollten Placebo-kontrollierte Studien bei schubförmiger Verlaufsform der MS in Ländern mit entsprechenden zugelassenen Präparaten nur unter besonderer Berücksichtigung ethischer Voraussetzungen durchgeführt werden. Es ist aber von großer Bedeutung, dass die Möglichkeit erhalten bleibt,  neuartige Substanzen auch in Zukunft im Rahmen randomisierter, kontrollierter Studien zu erproben, um deren Wirksamkeit zu belegen. Solche neuen Präparate sollten dann entweder gegen Placebo oder bevorzugt im Vergleich zur besten verfügbaren Therapie getestet werden. Eindeutige Empfehlungen, unter welchen Bedingungen  Placebobehandlung im Rahmen einer Studie gerechtfertigt erscheint, können hier nicht gegeben werden, da dies sehr stark von den jeweiligen Rahmenbedingungen und Zielsetzungen einer geplanten Studie abhängt.
Für die Optimierung der MS-Therapie werden kontrollierte Studien mit Patienten benötigt, die entweder auf die zugelassene Basistherapie nicht ansprechen oder bei erfolgreicher Therapie mit Mitoxantron nach Erreichen der kumulativen Höchstdosis nicht allein durch eine Monotherapie mit den Basistherapeutika eingestellt werden können. Zu diesem Zweck ist es notwendig, dass Möglichkeiten geschaffen werden, Studien zur Eskalations- oder Kombinationstherapie über alternative Finanzierungskonzepte durchzuführen. In diesem Zusammenhang wird an die gesetzlich verankerte Pflicht der Kostenträger erinnert und an den Gesetzgeber (in Deutschland SGB V §§ 63 ff. und 73a) appelliert, Therapieoptimierungsstrategien außerhalb der Regelversorgung und Qualitätsmanagement-Maßnahmen auch bei der MS finanziell zu unterstützen.

Eskalationstherapie des MS-Schubes

Als Standardtherapie des akuten MS-Schubes gilt weiterhin die intravenöse Gabe von hochdosiertem Methylprednisolon (1 g an drei aufeinander folgenden Tagen). Eine orale Hochdosistherapie mit 500 mg Methylprednisolon ist nach bisher vorliegenden Studiendaten eine mögliche Option, wenn eine intravenöse Verabreichung nicht möglich ist.
Angesichts der neuen Daten zu strukturellen Veränderungen im Nervengewebe bereits beim ersten Schub, kommt der konsequenten Schubbehandlung ein besonderes Gewicht zu. Ziel ist eine möglichst vollständige Rückbildung der Symptome. In den letzten zwei Jahren haben sich verschiedene Studien mit der Frage beschäftigt, welche Therapiemöglichkeiten gewählt werden können, wenn ein schwerer Schub auf eine Kortikosteroid–Pulstherapie nicht ausreichend anspricht. Eine Studie mit kleiner Patientenzahl zeigt Vorteile einer zusätzlichen Behandlung mit Plasmapherese (Blutplasma-Austausch).

Die MSTKG schlägt daher folgendes Vorgehen bei der eskalierenden Schubtherapie vor:
1. Nach einer standardisierten quantitativen neurologischen Untersuchung, dem Ausschluss eines akuten Infektes und der Beachtung möglicher Kontraindikationen wird die intravenöse Kortikosteroid-Stoßtherapie wie oben beschrieben begonnen.
2. Wenn keine eindeutige Rückbildungstendenz der Schubsymptome klinisch erkennbar ist, kann die Behandlungsdauer von drei auf fünf Tage verlängert werden. Eine orale Ausschleichphase ist individuell nach Verträglichkeit festzulegen und sollte vor allem bei Patienten mit noch nicht ausreichender Besserung der Symptome nach der intravenösen Therapie angestrebt werden.
3. Zwei Wochen nach Beendigung der Kortikosteroidtherapie wird eine erneute quantitative neurologische Untersuchung durchgeführt. Bei ungenügender Besserung kann eine erneute intravenöse Kortikosteroidpulstherapie folgen; eventuell mit höherer Dosis (bis zu 5 x 2 g).
4. Erneute quantitative neurologische Untersuchung nach zwei Wochen; bei unbefriedigender Rückbildung der Schubsymptomatik sollte gegebenenfalls die Möglichkeit einer Plasmapherese nach Rücksprache mit einem MS-Zentrum in Betracht gezogen werden, wobei diese auch bei kontinuierlicher Verschlechterung der Symptomatik trotz fünftägiger Stoßtherapie an Stelle einer Wiederholung der Steroidtherapie in Erwägung gezogen werden kann.

Es ist besonders deshalb wichtig, die Schritte exakt vorzugeben, da ein wichtiger Faktor für eine Wirkung der Plasmapherese deren früher Einsatz ist. Er sollte möglichst innerhalb von sechs Wochen nach Beginn der Symptomatik erfolgen. Inwieweit ein solcher Effekt auch durch die intravenöse Gabe von Immunglobulinen erreicht werden kann, ist Gegenstand derzeit geplanter Untersuchungen, die zur weiteren Standardisierung des Stufenkonzeptes der Schubbehandlung beitragen sollen.
Bei schweren, über lange Zeit hinweg verlaufenden Schüben und anhaltender subklinischer Krankheitsaktivität kann von der oben aufgeführten Reihenfolge der einzelnen Therapieschritte abgewichen werden und ggf. schon frühzeitig mit einer immunsuppressiven Behandlung, z.B. mit Mitoxanthron, begonnen werden. In jedem Fall sollte die Behandlung bei kompliziert verlaufenden Schüben mit einem MS-Zentrum abgesprochen werden.

Standardisierte Dokumentation / Basisdatensatz

Der Einsatz der neuen immunmodulatorischen Medikamente im Rahmen einer Stufentherapie setzt eine genaue, standardisierte und quantitativ auswertbare Dokumentation voraus. Dies ist auch und gerade wegen der anfangs bereits erwähnten Problematik eines effektiven Einsatzes finanzieller Ressourcen im Gesundheitswesen von Bedeutung. Die in den letzten Jahren entwickelten elektronischen Dokumentationshilfen kommen bisher aber nur sehr beschränkt zum Einsatz. Ziel einer Arbeitsgruppe der MSTKG und der DMSG Bundesverband ist es nun, einen Basisdatensatz zu definieren. Ihn gilt es im Konsens mit den beteiligten Zentren und dem Sylvia Lawry-Center for MS Research der Multiple Sclerosis International Federation in München abzustimmen, sodass er als Grundlage für eine standardisierte Dokumentation des klinischen Verlaufs dienen kann. In der Folge sollen diese Basisdaten Grundlage für ein geplantes MS-Register in Deutschland sein, welches eine bessere Beurteilung der Versorgungssituation von MS-Patienten ermöglichen soll. Die MSTKG hat einen Vorschlag für das Vorgehen bei einer standardisierten Verlaufsbeobachtung erarbeitet.

Aktuelle Empfehlungen zu Impfungen bei MS

Neben der immunmodulatorischen Therapie ist die Bedeutung von Impfungen für die Entwicklung des Krankheitsverlaufs eine wichtige Frage bei der Betreuung von MS-Patienten. Anhand der jetzt vorliegenden größeren epidemiologischen Studien hat sich die Bewertung dahingehend gewandelt, dass zumindest für die relevanten Indikationsimpfungen (wie z.B. Grippe) mit Spaltvakzinen, d.h. Impfstoffen („Totimpfstoffe“), die aus Bestandteilen des eigentlichen Erregers hergestellt werden und durch die keine Bildung autoreaktiver Immunzellen auftritt, kein erhöhtes Risiko für Schubauslösung oder Verschlechterung einer MS besteht. Im Gegensatz dazu konnte nachgewiesen werden, dass eine Infektion mit Viren wie es bei einer Grippe der Fall ist, sehr wohl eine Verstärkung autoimmuner Reaktionen und möglicherweise auch einen Schub auslösen kann. Impfung und Infektion wirken also hinsichtlich einer Anregung von Autoimmunreaktionen grundsätzlich verschieden. Aus diesen Gründen kann MS-Patienten die Grippe-Schutzimpfung gerade vor Einleitung einer immunsuppressiven Therapie, die auch die Widerstandskraft gegen Infektionen herabsetzt, empfohlen werden. Ähnliches gilt für die Tetanus-, Hepatitis-B- und Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME)–Impfung.

Nicht geklärt ist die Erfolgsrate von Impfungen bei laufender immunmodulatorischer Therapie. Hier ist mit einem verminderten Impferfolg zu rechnen. Eine Impfung mit abgeschwächten Lebend-Impfstoffen ist wegen einer möglichen Gefährdung des Patienten durch die verminderte Immunabwehr nicht zu empfehlen bzw. nur bei strenger Indikationsstellung durchzuführen.

Der Bundesverband der DMSG und sein Ärztlicher Beirat hat dieses aktuelle Papier im Juli diesen Jahres an alle Entscheidungsträger im Gesundheitswesen versandt, um sie auf die aktuellen Entwicklungen aufmerksam zu machen und sie aufzufordern, bei anstehenden Entscheidungen die Belange der chronisch an MS Erkrankten zu berücksichtigen. Es soll auch ein Hinweis darauf sein, dass für die Behandlung der MS kontinuierlich und auf aktuellstem Stand Leitlinien vorhanden sind, die als Grundlage für Entscheidungen im Zusammenhang mit z.B. Krankenhausentgeltpauschalen oder Disease-Management-Programmen dienen sollten.

Die Therapieempfehlungen zur Immunmodulatorischen Stufentherapie - Ausgabe 1999, die I. Ergänzung vom Dezember 2000 - sowie auch die II. Ergänzung im vollen Wortlaut sind unter www.dmsg.de nachzulesen oder über den Literaturservice des Bundesverbandes erhältlich.

Quellenangabe:
Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in der Immunmodulatorischen Stufentherapie der Multiplen Sklerose. In: AKTIV (Fachzeitschrift der DMSG) 03/2002, Nr. 196, S. 5 - 11.

 

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